Das Karussell

Mein Alltag ist ein einziges Todo-Listen- Karussell. Ich sitze 12 Stunden am Schreibtisch, aber merke nicht wie lange ich arbeite, weil ich zwischen Pflichtliteratur lesen, eMails beantworten und Meetings hin und her springe. Die Abwechslung fühlt sich dann an wie eine Pause, aber natürlich ist es keine. Das merke ich dann aber immer erst abends, wenn ich nach Hause komme und meine Aufnahmefähigkeit nur noch für die niveauloseste Reality Show auf Netflix reicht. Und selbst das ist irgendwann eine einzige Reizüberflutung. Aber wenn ich den Laptop zuklappe und plötzlich alles still ist, bin ich allein mit meinen Gedanken. Und dann kommen teilweise Emotionen hoch, die man den ganzen Tag unterdrückt hat vor lauter Engagement, Verantwortung und Tasks abarbeiten.
Ich weiß nicht, wieso ich mich nach einem besonders produktiven Tag manchmal schlecht fühle. Ich blicke zurück und weiß nicht mehr, was an dem Tag alles passiert ist. Das Mittagessen kommt mir ewig her vor und ich weiß, dass ich viel geschafft habe, aber dennoch habe ich nicht das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Ich war den ganzen Tag von inspirierenden Menschen umgeben und trotzdem fühle ich mich später einsam. Andere sagen mir, wie krass sie es finden, was ich alles tue und alles was ich fühle ist Druck. Ich will unbedingt diejenige sein, von der keiner weiß, wie sie alles schafft. Ich weiß es selbst nicht. Und ich weiß auch nicht, wie lange ich das noch schaffe.
Der Punkt ist, ich liebe alles, was ich tue. Meine Projekte und die Uni sind mir unglaublich wichtig. Schließlich ist das alles, was ich habe. Ich bin jetzt schon diejenige, die mit ihrem Job verheiratet ist. Der ultimative Workaholic. Weil ich sonst nicht weiß, was ich mit mir anfangen soll. Weil es sonst nichts gibt, was meinen Alltag lebenswert macht. Das Wissen, das meine Arbeit Bedeutung hat, ist das, was mich erfüllt. Der Grund, weshalb ich jeden Morgen aufstehe, ist mein Verantwortungsbewusstsein und mein Pflichtgefühlt. Und meine To Do Liste.
Je mehr ich arbeite, desto mehr Arbeit habe ich. Klingt vielleicht unlogisch, aber genau so ist es. Und ich bin mir darüber bewusst, aber irgendwie brauche ich das. Weil sonst wäre ich ja den ganzen Tag meinem Gedankenkreisel ausgesetzt.
Vielleicht ist der Drang, mir selbst beweisen zu wollen, dass ich abgehen kann wie eine Rakete etwas außer Kontrolle geraten.

Friedrichshafen, März 2019